Nahe der Antarktis teilt der südamerikanische Kontinent den atlantischen Ozean vom pazifischen wie mit einem Krummsäbel. Dort gibt es ein wildes, stürmisches Land, Patagonien!
Es umfasst den schmalen Küstenstreifen Chiles, von Poerto Mont im Norden und Punta Arenas im Süden, auf der argentinischen Seite von Bariloche bis Ushuaia. Aber das ist rein hypothetischer Natur, denn, dieses wilde, stürmische Land, schert sich nicht um Grenzen, schon gar nicht um Staatsgrenzen. Und nicht vergessen, auf der Südhalbkugel ist „Norden“, was auf der Nordhalbkugel unter „Süden“ verstanden wird. Es ist ein Land für Wetterfeste, Unverdrossene, Abenteurer, Träumer, Bergsteiger… Nähert sich der Reisende über die knochentrockene Pampa, entlang des Rio Santa Cruz, der einsamen Hosteria „La Leona“, wo es köstlichen Apfelkuchen mit einer Riesen-Sahne-Haube obendrauf gibt, steigt im Westen allmählich die Silhouette der Kordilleren empor. Der Reisende bemerkt es sofort, diese gewisse Magie, es ist der schönste Gebirgszug dieser Welt womöglich, als wollte die Natur wieder etwas gutmachen, wegen der Einöde ringsherum. Eine Reihe strahlender Türme, Zähne und Zacken erscheint, wild und doch ästhetisch. Hervorstechend der „Torre“, mit dem abenteuerlichen Mythos der Erstersteigung, daneben, alles überragend, wie eine scharfe Schneide, der „Cerro“. Der Granit dieser Berge strahlt silbergrau, dazwischen blitzt das Blau- Eis der Glaciar, das zur Linken, weit bis zum Azur des Lago Viedma reicht!
Der Reisende wischt die Augen, will es nicht recht fassen, genauso wie er die Sahne-Haube vor der Nase für irreal hält, allerdings ist deren Schicksal so gut wie besiegelt. Fährt er mit dem alten Rost-Bus weiter, kriegt er die Augen nicht mehr weg von dieser Berg- Silhouette. Und schon in kürzester Zeit, kann dieser Anblick, bei all jenen Abenteuern, Bergsteigern usw. eine krankhafte Sehnsucht entfachen einen dieser Gipfel zu besteigen. Allerdings kann die Eroberung einer dieser Schönheiten eine ziemlich frustrierende Angelegenheit werden und wer diesen Bergen verfallen ist, der hat eine Krankheit, für die gibt es nichts auf Rezept. Der Haken ist, dort unten, sozusagen in der Nachbarschaft von Kap Hoorn, ist eine Bergtour so gut wie nicht zu kalkulieren. Schuld daran ist das Wetter. Dort ist die Nadel eines Barometers ständig in Bewegung, man sagt, wie der Schwanz eines Dackels. Gerade staunte der Reisende noch über die Bilderbuch-Landschaft, hantierte ein wenig am Rucksack, beim Hochsehen, du glaubst es nicht, ist die idyllische Kulisse hinter grauen, quirlenden Wolken verschwunden und der Wind bläst als wäre man aus einem Flugzeug gesprungen.
Es gibt die Geschichte mit dem Calafate. Der Calafate ist ein dorniger Strauch mit Beeren, so halb Wachholder, halb Heidelbeere. Eigentlich ist es Vogelfutter, denn die Beeren sind voller kleinster Samen. Isst man davon, muss man ewig Spucken, aber dann ist es auch schon zu spät! Der Verzehr der Beeren bewirkt eine auf natürliche Weise nicht erklärbare Bindung zu diesem Land, so die Geschichte. Der Infizierte würde eine quälende Sehnsucht nach diesem Land entwickeln, er würde immer wieder hierher zurückkommen müssen und wer sich wochenlang aus Büchsen und Tüten ernährt, kommt an diesen Beeren nicht vorbei!
Der „Cerro“, mit dem Namen eines englischen Seefahrers, ist die Verkörperung des idealen Gipfels überhaupt. Er ragte wie ein Fangzahn aus dem Gletscher und übertrifft an Höhe alle anderen Zacken bei weitem. Mit seiner himmelhohen, scharfen Schneide, verkörperte er irgendwie das „Alles oder Nichts“ dem man hier unterworfen war. Planung, Ausrüstung, Vorbereitung, Wetterbericht, schön und gut, woanders ist das eine 80 Prozent-Garantie für einen Gipfelerfolg. Nicht hier in Patagonien, hier zu scheitern, gut möglich auf den letzten Meter zum Gipfel, ist überhaupt nicht ungewöhnlich. Und das Wetter kann den Berg- Besessenen zu einer ungestümen Hetze „Hinauf“ und im nächsten Moment zur demütigenden Flucht „Hinunter“ verdammen, gut möglich über Tage hinweg, gut möglich bis zur vollkommenen Erschöpfung. Liegt er nach einer haarsträubenden Abseil-Fahrt an verklumpten, vereisten Seilen unten im „Campo“ im Gras um wieder zur Besinnung zu kommen, gut möglich die Sonne scheint wieder vom ungetrübten Himmel, denkt er zuerst alles richtig gemacht zu haben, immerhin hat er überlebt! Aber gut möglich, schneller als gedacht, ist es wieder da… bei so einem Wetter Sonnenbaden ist das Letzte was er wollte und diesmal wird es besser werden! „Glaube mir!“ Alles oder Nichts! Es ist die besondere Qualität des Abenteuers, hier den patagonischen Bergen, hier haftete dem Abenteuer etwas Schicksalhaftes an, davon rührt der Mythos der Berge.