CAPTURE-CRON
Eine seltsame Eigenschaft der Nichtlokalitaet ist die unmittelbare Fernwirkung
„Der heutige Tag könnte zu einem historischen Datum für die Menschheit werden, aber wen interessiert das noch“, dachte Myk und warf sich in den speckig, schrundigen Ledersessel. Noch glaubte er die Dinge fest im Griff zu haben. Myk Ruud war als Erster in der Zentrale des Capture-Cron Institutes erschienen, so wie jeden Tag, schön korrekt, alte Schule. Die Institution war den absoluten Machthabern von MetroX direkt unterstellt. Diese Spezies waren nicht nur absolute Machthaber, sie waren auch absolute Ignoranten, menschenverachtende Ignoranten. Sie verboten sich jedwede Kommunikation und von ihrer Seite gab es nur äußerst knapp gehaltene Befehle in dämonischer Maschinensprache. Man kann es drehen und wenden wie man will, verwehrt eine Autorität Sprache, bzw. Kommunikation, also das was Menschen zu Menschen macht, dann ist das die höchstmögliche Verachtung, die sie der Allgemeinheit erweisen kann. Myk legte die Beine auf eine der Papp-Boxen, die von den Hightec-Apparaten herrührten, die nahezu täglich hier strandeten und schielte hinüber zur Uhr. Sie zeigte wenige Minuten nach acht, darunter stand 08. 10. 2165. Er schloss seine Augen, für einen Moment bedeckte er mit den Händen sein Gesicht und versuchte sich zu entspannen, er dachte: „Mein Gott, ich habe die ganze Entwicklung mit getragen, nahezu 150 lange Jahre!"
Er atmete mehrmals tief durch, seine Erinnerung förderte einzelne Bilder zu Tage. Damals hieß die Firma noch NatScan, eine Klitsche mit 22 Mitarbeitern, sie sollte zu einer der mächtigsten Konglomeraten werden. Der Durchbruch gelang ironischer Weise, als sich die Umweltbedingungen rapide verschlechterten. Die Ingenieure hatten ein Konzept in der Schublade, das weltweiten Flugverkehr aus regenerativen Energien ermöglichte: Das Solaris-Glider-System!
Gewaltige Nurflügel-Gleiter werden, mittels solar-betriebenen, elektrischen Seilwinden, bis in die untere Stratosphäre gezogen. Dort geben Wasserstoff-Turbinen den Solaris- Gleitern einen Impuls, dass sie die nötige Höhe und Geschwindigkeit für eine Umlaufbahn bekommen, um danach, jeden beliebigen Ort auf dem Planeten, zurück in der Atmosphäre effizient segelnd, antriebslos erreichen zu können. „Null Emissionen, ja, ja, kein Problem, hätte alles viel früher kommen müssen und nicht nur das“, grantelte Myk vor sich hin. „Soll mir keiner erzählen, es wäre nicht möglich gewesen! Ja, ja, die Schmieröl-Demokratien, sang und klanglos sind sie verschwunden, nachdem der Planet geplündert war, 'ist nur eine stinkende, durchs All treibende Müllhalde übrig, eine kollektive Schande, Vernunft, Verantwortung, keine Spur!“ Er kickte die Papp-Box quer durch den Raum und kam zu der bedauerlichen Konklusio: „Kollektiv- IQ wie ein Herde Hornochsen, jeder lausige Termitenbau produziert mehr Schwarm-Intelligenz!“ Und es war nicht schwer zu erraten, wen er damit meinte. Und da waren wieder die sentimentalen Gedanken, die wie eine schwerverdauliche Mahlzeit ab und zu bei ihm hoch kamen. Gedanken an eine verlorene Welt und diese Welt lag gerade mal gut 100 Jahre zurück. Heute lagen die Dinge soundso ganz anders. Aber er wusste noch wie es war, frisches Wasser zu trinken, frische Wald-Luft in die Lungen zu saugen, so etwas wie einen Berg aus eigener Kraft zu besteigen, das alles war längst nicht mehr möglich. Wie sehr ihm diese, aus damaliger Sicht, lächerlichen, einfachen Dinge einmal fehlen sollten, hätte er sich niemals träumen lassen. MetroX war ja nicht einmal der offizielle Name, es war der Name des Projektes als man damals begann, unten in Tacoma, diesen Chrom-glänzenden Kubus zu bauen. Gerüchten nach, unter Einsatz von Trans-Metallen, weiß der Teufel. 13 Meilen mal 7, mal 1 Meile hyper-gleißende Oberfläche, das Habitat der Machthaber. Fenster, Eingänge, Fehlanzeige! Was für eine Botschaft! Es blieb bei MetroX, basta! Und hinterher hieß der gesamte ehemalige Großraum Seattle genauso, MetroX! Die erste Welt! Ein richtiger Name war den Machthabern der Metropole scheißegal und das war wie ein Manifest der Ignoranz der Razzor. Und weil wir schon bei blöden Namen sind. Razzor sollte heißen, die, die einen scharfen Schnitt machen. Ratsch! Schnitt! Aus! Wer auch immer auf diesen Schwachsinn gekommen war, keine Ahnung, aber er entsprach der Wahrheit! Rasiert, von oben, die Menschheit! Die Razzor hatten die absolute Macht und sie erlaubten sich einen distanzierten Beobachterstatus gegenüber dem Rest der Welt, ein „Laissez-faire“ unglaublicher Arroganz. Und er, Myk? Er lebte in einer artifiziellen Welt, einem utopisch zivilisierten Reservat von MetroX, in Sichtweite des Alu-Kubus, sofern das Dreckswetter mitspielte, was selten der Fall war. Und diese artifizielle Welt, schien ihm wie ein Todestrakt, indem er auf seine Hinrichtung wartete. Nein, es gab nichts mehr zu verlieren und das bestärkte ihn in seinen Plänen. Diese Pläne waren in zugespitzter Weise ein Vorhersehen, ein Traum seines Bruders, der das Leben akzeptierte wie es war: Living-and-die, Basta! Leben und sterben ohne Aufschub! Und der Traum seines Bruders war es allemal wert in die Tat umgesetzt zu werden!