Dry Bread

Dry Bread

Es hatte etwas unterschwellig Aufgeladenes, etwas das Erwachen und Untergang, das Anfang und Ende zugleich war.

Mit hoher Geschwindigkeit näherte sich die Vampire der finsteren Matrix voraus. Doch plötzlich schien diese ungestüm zu expandieren, als hätte die Vampire gefährlich schnell beschleunigt… „Major Sto… ker, das ist ja beängstigend, wollen sie nicht etwas reduzieren, man glaubt ja geradewegs in ein schwarzes Loch zu rasen!“ Stoker antwortete ruhig und bestimmt: „Miss Takahashi, es ist ein besonderes Phänomen. Sehen sie, das Gelände bricht hier in eine Depression ab, an die 7000 Fuß. Dort unten liegt längst der Schatten des Berges, der sich jetzt auftut, es scheint, als würde man sich dem Berg schneller nähern. Olympus-Mons überragt das Niveau der Depression mit ca. 90 000 Fuß. Nichts kann sich damit messen, er ist die höchste Erhebung dieser Welt! Und ich sage ihnen, wir werden, obwohl noch heller Tag ist, in stockfinstere Nacht fliegen...“, Stoker sah kurz zu seinen Passagieren, ob des ganzen Pathos, er lachte trocken, „…aber dieser Berg wird die Sonne wieder aufgehen lassen!“ Die Worte des Piloten verfehlten ihre Wirkung nicht. Für einen Moment herrschte andächtige Ruhe. Stoker ergriff wieder das Wort: „Commander Ruud, es bleibt dabei, wir gehen runter 21, 33 Nord und 221, 58 West?“ „Ja Major, sehen wir uns die Sache einmal an!“ „Ok, dann halten wir Kurs und nehmen die Route über den Gipfel!“ Übergangslos jagte die Vampire in stockfinstere Nacht. Nein, Nacht, Nacht war etwas anderes! Es war ein Schwarz, ein vollkommen raumloses Schwarz, dort wo eben noch die Hell-Dunkel-Zonen des „Draußen“ waren. Nach einer Weile und der Adaption des Auges an die Dunkelheit war es auch nicht besser! Es waren keinerlei Strukturen zu erkennen. Allmählich wich das Gefühl der schnellen Vorwärts-Bewegung dem einer schwammigen Labilität, nur das gedimmte Licht, der Instrumente am Panel unterstellte, dass man auf der Reise war. Major Stoker sagte: „Er ist ungeheuerlich, dieser Schatten, so ungeheuerlich wie dieser Berg, nicht der geringste Reflex… ok, wir gehen in wenigen Minuten in den Steigflug!“

Der Allerwerteste bemerkte es als erstes, und das Gleichgewichtsorgan übersetzt Druck auf das Sitzfleisch in „es- geht- nach-oben“! Der Druck verebbte gleich wieder, was eine Reduktion des Eigengewichtes mit sich brachte. In dem bezugslosen Schwarz verursachte das wiederum einen veritablen Lagen-Konflikt. Der Reisende glaubte sich gemächlich rückwärts zu überschlagen… so ging es dahin, bis allmählich der Sternenhimmel heruntersank, obwohl man doch, rein gefühlt, kopfüber stand, der Magen reklamierte, „hey, was ist los, soll ich kotzen?“ Weit draußen begann die Atmosphäre zu dimmen, erst seidig schwach, kurz darauf glühte eine Kammlinie auf, die ersten Strahlen der Sonne schweißten darüber, Stoker machte, „woow“, und Major Stoker war garantiert kein überschwänglicher Mensch. Aus dem astralen Gegenlicht wälzte sich eine inselartige Landmasse heran, wie ein Ufer im All! „Dabei ist es nur eine simple Relativbewegung“, wollte Stoker die Passagiere wieder zum Durchatmen bewegen, doch es schien keine Zeit dazu! Kaum stand die Sonne höher, überflutete die Kabine ein rötliches Licht, Stoker entfuhr erneut ein, „woow“, er sagte lapidar: „Sehen sie nur, da unten, die Caldera!“ In der Tiefe entfachten mächtige Wände einen rötlich brennenden Widerschein, schnell wurde er mehr und mehr... Wände nein, es waren lotrechte Abgründe, die sich auftaten, die sich noch immer weiter auftaten, als stiegen sie aus dem Innern des Planeten heraus, es schien unfassbar... sie zirkelten, eine gigantische Arena beschreibend, bis zur Sichtgrenze, voraus jedoch lagen sie schon in einer scharf geschnittenen Schatten-Sichel... Lilley machte, Stoker imitierend: „Woow, hier hat sich wohl ein antiker Herakles einen Gottersitz geschaffen?“ Tatsachlich hatten die endlos weit geschwungenen Abgründe etwas Erhabenes, das Erhabene einer explizit einfachen, jedoch gewaltigen Linienführung, die Inspiration einer göttlichen Urform womöglich...

Wenig später lag die Caldera hinter der Vampire. „Es gibt noch einige Bruchzonen hier im Gipfelbereich der Nordwest- Flanke, ok, gehen wir runter, machen wir etwas Sightseeing“, sagte Stoker trocken. Die Vampire tauchte ab, rasend schnell ging es über eine Stein-übersäte Einode dahin… dann, unvermittelt, schossen erratische Gebilde heran, als hätte der Berg sein Innerstes nach außen gekehrt, Türme wie Krallen, Katarakte, wie in Anthrazit gepflastert, mit Sonnenglut darauf… husch und weg! Dann wieder Einöde und das nächste chaotische Lava-Drunter-und-Drüber, aufgetürmt, hoch gespien, eingestürzt, abgebrochen, mit Sonnenglut darauf… husch und weg! Stoker steuerte die Vampire noch weiter runter und jagte nahe am Boden dahin. Er sagte lakonisch: „Freie Bahn, das war’s!“ Es war eine wilde Jagd, über eine endlose Steinwüste, die unter der Vampire nur so heran schoss, jedoch weit draußen, an der Kammlinie, schien es, als wäre jede Bewegung eingefroren… das suggerierte gewaltige Distanz! Die Nordwest-Flanke von Olympus-Mons musste exorbitante Ausmaße haben!

Plötzlich war dieser rötliche Lichtsaum voraus zu sehen. Scharf markiert strahlte er entlang der ganzen Nordwest- Flanke. Die Vampire raste darauf zu! Stoker tat kund: „Ladies, Gents…“, als stände die Nummer des Tages bevor, doch schon war die Lichterscheinung zu einer Lichtwand geworden, die regelrecht aus dem Boden hervor strahlte, als wollte die Sonne nicht mehr vom Himmel, sondern aus der Hölle scheinen. Und tatsächlich schien es Stoker, diesem Gefrierschrank von Menschen, die Sprache zu verschlagen, er stammelte: „Wir nähern uns de… er…“, in dem Moment, die Vampire durch diese Strahlenwand schoss, „…Sockelstu… uu…“, Stoker seine Worte verschluckte, als hatte er das Kabinettstückchen, eine auf den Punkt getimten Ansage vermasselt, stattdessen er wieder ein, „woow“, heraus posaunte… von achtern Rotlicht in die Kabine flutete, die Vampire abtauchte, in einen Ozean von Rotlicht, der Abglanz etwas Unvorstellbaren, das sich rückwärtig, im Widerschein der Sonne, übermächtig auftat, Stoker die Vampire zur Seite legte, es überdeutlich vor Augen stand, etwas… um es zu beschreiben, eine Schar Hysteriker, ihre hysterischen Hirne würden anzapfen müssen, nein, selbstredend, kolossal, exorbitant, das waren nur lachhafte Begriffshülsen angesichts dessen, es gab einfach keine Analogie dafür! Eine Weltall-hohe Wand tat sich auf, feuerrot in der tiefen Sonne, hemisphärisch weit gekrümmt bis zu den Sternen… und das war nur eine schwindsüchtige Annäherung! Es war der Sirenengesang, einer apokalyptischen Vision, ein Kontinent wäre zum Himmel gesprungen und dieser Sirenengesang wäre, wie dämonische Energie, die saugende Leere schürte, dort wo das Kraftzentrum eine humane Proteinstruktur zusammenhält, womöglich eine Existenz bekümmerte, die allerdings wäre, bei den Göttern des Olymp, an diesem Ort, so daneben wie ein Chorknabe bei einer satanischen Orgie! …Verloren, wie ein Meteorit, jagte der Vampire abwärts, Lilley fragte, als müsse sie das denkbar Absurdeste auftischen: „Ihr wollt da hinauf klettern?“ Weit aufgerissenen Augen blieben ihr die Antwort schuldig… in der Höllen-Tiefe strandeten rosige Wölkchen, so lächerlich wie erschreckend, da unten war die Wand noch lange nicht zu Ende. Myk murmelte: „Junge, Junge“, was immer er damit meinte, irgendwie hörte es sich an, als wäre jedwede Beschreibung, oder die Statistik, der expliziten Optik ziemlich hinterher, und das es mit der Wahrnehmung und dem Begreifen-können, wohl auch nicht anders war.

Peter Tempel

67098 Bad Dürkheim


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