Eternal Flame

Eternal Flame

Er war völlig losgelößt, völlig frei zwischen Himmel und Erde

 

An der angelehnten Felsschuppe, erodiert wie eine überdimensionale Säge, mit Zacken und Zinken daran, ging es hoch. Roce und Christine waren fertig eingebunden. Roce zeigte hoch zur Schuppe. „Darüber ist der erste Rastpunkt!“„Du meinst auf der Schuppe?“ „Ja“, antwortete Roce,„darauf kann man einigermaßen gut stehen!“ „`Ist doch schon ziemlich hoch?“ „Oochh, ist nicht besonders schwer dahinauf!“ Er säuberte die Sohlen, kein Krümel durfte dort haften. Er griff fix nach hinten, in den kleinen Beutel mit Magnesiumpulver, zum trocknen der Finger, ging doch super routinemäßig, drei tiefe Atemzüge… Christine meinte: „Das Ritual?“ Er grinste routiniert, sollte heisen, ja, das Ritual! Er fragte, „ok“, so routinemäßig, ob sie soweit wäre? Sie antwortete: „Ok!“ Roce stieg los, er packte eine Fels-Zacke als Griff, stieg auf eine Fels-Zacke als Tritt und immer weiter so, Zacke Griff, Zacke Tritt, aber Erosion ist garantiert nicht vom Reißbrett! Er wollte weiter greifen, doch verdammt, verdutzt hielt er inne! Er hatte dieses heikle Gefühl, nur noch etwas mehr Zugreifen und er würde, „flutsch und weg“, runter fliegen, ihm würde die „Tür-aufgehen“! „Offene-Tür“ ist Kletterer-Jargon, soll heißen, Tritte und Griffe sind nicht im Lot, beim Weiter-greifen kann der Körper nach außen rotieren, so als wurde eine Tür aufgehen. „Bleib' über Tritt, die andere Hand, verdammt“, schoss ihm durch den Kopf. Aber es war noch etwas anderes, das er mit Unbehagen registrierte. Es war die Art wie er zupackte, geradeso als wolle er die Felsschuppe zu Krümel verarbeiten. „Du schraubst zu wie ein Anfänger!“ Eine leise Stimme sagte: „Geh mit Christine wandern!“ „Wie, den Routinierten spielen und dann den Schwanz einziehen?“ Er wurde wie ein Trottel dastehen. Nein! Unvermittelt feuerte ihn ein Gemenge aus Trotz und Stolz nach oben, Zacke Griff, Zacke Tritt, zack, zack, zack, mit einem kräftigen Schwung hievte er sich auf die Felsschuppe, rammte eine Hand in den klaffenden Spalt dahinter, er konnte wieder passabel stehen! „Uff!“ Aber von Routine, keine Spur! Er werkelte einen Sicherungs--Keil in den V-formigen Riss, 'lag bombig, klinkte das Seil in den Karabiner, er sah hinunter zu Christin, das Seil führte zu ihr… gesichert, „Puhh!“ Gesichert-sein ist Nervenbalsam. Die Urangst eines Bodensturzes ist erst mal passe´. Die Welt sieht auf einmal ganz anders aus. Es liegt an dem Heldenstoff, den die Nebennieren bis in die Haarspitzen pumpen. Was für ein schöner Tag den Helden zu spielen! Über ihm die Wand-Passage. Positive Griffe, gut zu hinter-greifen, Tritte en Masse, manchmal Millimeter-Tritte, einfach die Sohle dagegen pressen, hält! Da konnte im Prinzip nichts mehr passieren! Da oben die blöde Stelle, an dem glatten Wulst, da musste er nochmal aufpassen, aber da war ja auch der Sicherungsring! „Und schraub' nicht so zu, gottverdammt!“ Schnell gewann er an Höhe, Wandkletterei ist eben etwas ganz anderes. Positive Griffe sind gut für die Moral. Positive Griffe lassen den nicht-routinierten Mover wie einen routinierten aussehen. Noch eine Sicherung unterbringen, wo‘ s gerade so gut lief? Ach was! Hände trocknen, Magnesium staubte und weiter! Er trat höher, gute Griffe, nochmal höher treten, wieder gute Griffe, jetzt war er unter dem Wulst, die Wand fing an zu drücken, direkt drüber… oder? Weiter rechts war ein Sims, sah gut aus, also rüber! Er machte einen Spreizschritt nach rechts zog sich an einer senkrechten Kante hinüber, doch verdammt! Der Sims entpuppte sich als abschüssig, saublöd zu stehen… und gute Griffe? Wo? Nix gescheites weit und breit! Mit aufgestellten Fingerkuppen hielt er sich an einem Kratzer, 'konnte nicht sein! Auf einmal, klar, er hatte die Route verlassen, der Wulst wurde direkt genommen, das hier war ein Verhauer! Und wo man sich herübergezogen hatte, konnte man sich hinterher nicht zurück drücken, unmöglich! Er sah zwischen seinen Beinen hindurch hinunter, eine Hitzewelle peitschte durch seine Adern! Das Seil! „Himmelherrgott!“ Viel zu tief lief es durch den Karabiner mit dem Sicherungs-Keil. Er war im „Run out“, der Mega-Gau! „Run out“ heißt, der letzte Sicherungspunkt ist soweit überklettert, dass man im Falle eines Sturzes, auf den Boden aufschlägt. Schutzengel machen da mitunter die Fliege! Die leise Stimme sagte: „Eine falsche Bewegung und du fliegst runter!“ „Himmel, Hilfe!“ Es wurde ihm gehen wie „Nik“, dem Kamakazi! Er war vom Wahnwitz der Solo- Kletterei befallen. Die wahre Freiheit und so. Er hatte einfach keine Angstschwelle, 'wusste nie wenn es genug war, bis er runter kam. Er hatte die Stelle hinterher inspiziert, schaudernd den großen, schmutzig, blutverschmierten Fleck betrachtet! Es stand ihm überdeutlich vor Augen. Oh mein Gott Christine, sie stand da unten, niedlich, so Püppchen-klein, sie hielt vertrauensvoll das Seil in den Händen. Es war das Schlimmste was er ihr antun konnte! Sehen zu müssen wie das Unvorstellbare geschieht! Wie sein todgeweihter Körper, mit einem viehischen, dumpfen Geräusch, vor ihren Füßen aufschlagen würde. Ein unfassbarer Schrecken, den sie nie mehr vergessen würde. Himmelherrgott! Wie blauäugig er in die Falle getappt war, zack, zack, den Routinierten spielen, wie unglaublich dumm, Idiot! Lange würde er sich nicht mehr halten können! „Bauch an die Wand“, 'entlastet die Finger, aber wieder, die peitschende Hitzewelle, er glaubte abzurutschen, „flupp und weg“, er krallte Steinkristalle, presste, quetschte, Fingernägel barsten, Blut tropfte! „Gleich, gleich ist es soweit, aus und vorbei! „Ha ha ha, Idiot! Du wirst sterben, Idiot! An diesem schönen Tag, Idiot! Idiot!“ Seine ganze Existenz hing an diesen rasend hämmernden Fingerspitzen! N E I N! Der „Skin“, der alte „Skin“, der wäre cool geblieben, hier runter fliegen? Er? Niemals! Er flehte: „Skin, Hilfe, bitte, hilf mir, bitte, nur ein Wort, ein Wink, wie schaff´ ich‘ s hier weiter, komm schon, Hilfe..."

„Tu was, schnell!“ Jede Sekunde zählte! Lange wurde er sich nicht mehr halten können! Roce sah die Wand hinauf. Links oben befand sich ein flacher Höcker mit einer Warze drauf. „Könntest du sie halten, nur kurz, könntest du mit der anderen Hand an die guten Griffe kommen!“ Aber wie? Die Warze war außer Reichweite. „Niemals!“, sagte die leise Stimme. „Na, was ist?“, grinste die Warze, „Helden sterben jung!“ „Nein, nicht heute, nicht an diesem schönen Tag!“ Lange würde er sich nicht mehr halten können! Jede Sekunde zählte! Da war wieder die peitschende Hitzewelle! Die Sohlen, das Gummi, wollten nicht mehr, schmierten, jetzt… gleich würde es passieren, „pflutsch und weg!“ Aus! Aus! Aus! Plötzlich hörte er: „Wie wär' s mit einem Dead-Point, du weist doch Roce, diese Sekunde in der du federleicht wirst!" „D u S k i n? Einen Dead-Point?“ Ja das wusste er! Die einzige, die letzte Chance! Wie von der Tarantel gestochen fuhr er mit der Linken rückwärts in den kleinen Beutel, eine weiße Wolke staubte, seine Beine peitschten ihn in die Höhe, die Sohlen rieben, rutschten, die „Linke“ fetzte hoch Richtung Warze, die „Rechte“ kratzte, schrammte, stieß ihn vom Mini-Griff nach oben… er war jetzt, völlig losgelöst, völlig frei zwischen Himmel und Erde, wahnwitzig! Wie konnte er nur! Er glaubte die Besinnung zu verlieren, er würde sterben! Seine Nase war über der Kante, die Schwerelosigkeit... gleich würde er rückwärts hinunter stürzen! Sein rechter Arm rotierte grotesk nach oben, seine „Linke“ schmirgelte über das schneidige Warzen-Gebilde, ein scharfer Schmerz, er spürte nichts! Die Zeit gefror… er glaubte sich schwebend erstarrt, der Henkel in Augenhöhe, eine Stimme brüllte, „C h r i s t i n e!“ Adrenalin explodierte in seinem Körper, wie ein Adler stürzte die Rechte herunter! „Halte oder stirb! „Aargh!" Titanen-Kräfte würgten jahrtausende-altes Sediment, Quarz-Kristalle stachen wie Nadeln…wie lange hielt er sich schon? Er klinkte mit der schlot…t, ...t, ...ternden Hand den Karabiner in den Ring, Seil dazu, gesichert! Jetzt konnte nichts mehr passieren! Schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen! „Uuuff!“

 

Peter Tempel

67098 Bad Dürkheim


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