...oder was wäre die Welt schon ohne Ikarus,
Ikarus wollte der demütigenden Gefangenschaft des Labyrinths entkommen. Er fertigte sich Flügel aus Federn und Wachs und schwang sich hinauf in den Himmel der Sonne entgegen, symbolisch wohl der letzten Wahrheit. Nahe der Sonne schmolz das Wachs, das seine Schwingen zusammenhielt. Er stürzte hinab in die ikarische See und bezahlte seine Sehnsucht nach Freiheit mit dem Leben…
Wie viel Symbolik steckt in diesem alten Mythos? Freiheit bedeutet, im ursprünglichen Sinn, uneingeschränkte Bewegungsmöglichkeit zu haben. Die warmblütige Lebensform schaffte es die beengten Milieus zu verlassen und sich spontan in alle Richtungen frei zu bewegen. Das war ein evolutionärer Vorteil. Dieser Vorteil markiert den Ausgangspunkt, darauf lässt sich jeder Freiheits- Gedanke zurückführen. Allerdings, das Zusammenleben in der Gruppe, bis hin zur zivilen Groß-Organisation, das schuf Normen, Regeln, Pflichten, Abhängigkeiten die hintergründig unbemerkt, weil als „normal“ verstanden, die Freiheit torpedierten oder auf Pseudo-Freiheiten umleiteten, wie Gruppen- Geborgenheit, wo man sich gerne unterordnet, exzessiven, sinnlosen Konsum, oder der Vollrausch am Wochenende. Das andere ist, die biologische Welt ist nun mal auf Konkurrenz ausgelegt. Der Einzelne kann je nach Schicksal, physisch, sozial, geografisch, benachteiligt oder bevorteilt sein, er hat auf die elementaren Voraussetzungen seiner Existenz nicht die Freiheit der Wahl, der Gipfel der Frechheit. Schließlich kann jeden die Erkenntnis erschrecken, womöglich an einem trüben Tag, dass er im Grunde nur, vom ersten Atemzug an, die todgeweihte Marionette eines undurchschaubaren, übergeordneten Prozesses ist. Womit wir beim Labyrinth wären und darüber hinaus. Also sind wir, um mit einer Textzeile meines Buches zu hausieren, in labyrinthischem Gewahrsam, auf diesem Raumschiff, mit dem eigentümlichen Namen „Erde“, das durch endlose Räume driftet auf dieser Reise ohne Wiederkehr? Was bleibt uns anderes übrig als Raketen zu bauen, große Raketen, ...nur Obacht mit der Sonne!
Die Berge gelten als Refugium der Freiheit. Tatsächlich kann man hier die zivilisierten Milieus hinter sich lassen und überall hingehen. Nicht gänzlich, es gibt das Konkurrenz- Prinzip. Die Besteigung des 6100 m. Hohen Mt. McKinley in der Tundra Alaskas zählt jedenfalls mehr als die des Zwieselbacher Rosskogel im Sellrain. Die Schwierigkeits-Skala des Kletterns z.B. ist eine eindeutige Werteskala. Das kann sich in Rangordnungs-Gehabe niederschlagen, oder in seriellen Bekundungen deines Kumpels, wie er die eine unmöglich-schwierige Stelle der Route, mit grandioser Raffinesse überwunden hat, bis Du es nicht mehr hören kannst. Wie auch immer, die psycho-sozialen Spannungen halten sich meist in Grenzen. Möglicherweise nervt dich abends dein Zeltpartner mit seinem Zellofan- Geknister, weil er fortwährend auspackt und was rein schiebt... okay, was soll ‘s!
In den Bergen jedenfalls wächst mit jedem Höhenmeter die Distanz zum Mief der Niederungen. Der Blick ist klar, die Brust weit, das Pochen darin treibt dich so mühelos voran. Frisches Wasser schmeckt besser als Champus, die Brotzeit besser als ein Sterne-Menü, hier kannst Du es noch haben, die ehrliche Glückseligkeit des einfachen Lebens, in der, wie heißt es so schön, „freien Natur“, (vorausgesetzt es kommen nicht alle)
Ich möchte nochmal eine Textseite meines Buches bemühen, wo der Atem der Berge, also die „Bergluft“ als Synonym für „Freiheit“ beschrieben ist.
„Der Whiskey hatte Myk die Adern geweitet, ihm das Atmen ein wenig leichter gemacht. Da war dieser leichte Salzgeruch, die Kunstluft in dem Wolkenraum, eine reproduzierte See-Brise. Auf einmal glaubte er, weil gerade von Bergen die Rede war, und was waren die Dolomiten schon anderes als Korallenriffe, diesen, vom Wind getragenen, frischen Salzgeruch wieder zu schmecken, den Geruch dieser Felsriffe! Ja, richtig, damals in den Dolomiten, lag dieser flüchtige Salzgeruch in der Luft! Dann, wie es auch immer geschah, hatte er diese Erinnerung, die Erinnerung an den Geruch der Berge, an Bergluft! Den Wildblumengeruch einer Bergwiese, den Prickel- Duft eines Gletschers, passend zum Knirschen der Schritte im Firn, den ätherischen Duft der Redwoods, den ein Warmluftstrom bis weit herauf in eine Felswand getragen hatte, die dünne Luft, auf einem hohen Gipfel, wie eine eisige Schneide jeder Atemzug, der kühle, erdige Geruch im Herbst, der einem entgegenkommt, wenn man glückselig müde hinunter ins Tal wankte… ja, ja Berg- Luft, die befreiende Luft der Berge! Aber er bemerkte, dass hinter dieser wehmütigen Anwandlung etwas ganz anderes stand. Ein Verlust von etwas, das für ihn mal eine selbstverständliche Größe war, im Prinzip ein einstmals weltbewegendes Ideal. Darüber wurde philosophiert, politisiert, spekuliert, deswegen wurde rebelliert, massakriert, kopuliert, guillotiniert, gelogen und betrogen, dennoch, nichts, rein gar nichts, machte dieses flüchtige Ideal so unmittelbar lebendig für ihn wie der Atem der Berge… F R E I H E I T! Und das infame war, der Verfall kam schleichend, über Jahre hinweg, kaum merklich, wie eine hinterlistige Krankheit! Dann auf einmal, Totalverlust! Heutzutage gab es dafür keine Wahrnehmung mehr! Seine Kehle wurde eng! Niemals mehr wieder würde er sie atmen können, niemals mehr! Die Freiheit der Berge war für ihn so unerreichbar wie die Ringe des Saturn!“
Mit Verlaub, diese Text- Passage ist, in jeder Hinsicht, nicht nur Vision… bleibt frei!