Früher, zu Urzeiten, hieß „Beute zu machen“ nichts anderes als wieder Fressvorräte zu haben. Unsere Vorfahren mussten bisweilen dafür mit ihrem Leben bezahlen.
War ein urzeitlicher Jäger, einem gefährlichen Beutetier gegenüber, in diesem angespannten, isolierten Zustand, die peripheren Gefäße blockiert, Herz und Muskeln dagegen, bis zum zerreißen voll mit energiegeladenem Blut, das visuelle- und motorische Hirn messerscharf ausgerichtet, dann ging es nur noch darum auf direktem Weg zu töten! Die Natur favorisiert den effektivsten Killer, ob es einem gefällt oder nicht. Hinterher, sofern er die Auseinandersetzung überlebte, befielen ihn Schauer von Glücksgefühlen. Es mag lächerlich klingen, aber ein Briefmarkensammler, der gerade eine Rarität in sein Album sortiert, mit diesem gewissen „Beute-Lächeln“ auf dem Gesicht, profitiert noch heute davon.
Beim Klettern geht es auch darum Beute zu machen. Es könnte sich dabei um eine einzelne, gerade angesagte Route, womöglich mit dem vertrackten Namen „Negativ Extension“, oder um einen 3Tage-Wahnsinns-Schinder, durch ein 1000 Meter Wand handeln, die der Kletterer eben, um alles in der Welt, weiß der Teufel warum, in sein Tourenbuch eintragen möchte. Bergsteiger sind oft ein Leben lang Gipfel-Sammler, nichts hält sie davon ab. Irgendwann sind die Knie durch, Arthrose, aber da gibt es ja noch die Stöcke und die Pharma-Chemie. Diese Impulse sollte man nicht unterschätzen. Manche erliegen diesem Zwang bis zur Besessenheit. Sie haben der Welt der Fahrstühle und orthopädischen Büromöbel den Rücken gekehrt, unter Umständen ihre Sesshaftigkeit aufgegeben, sie sind nur noch auf der Jagd. Wie dem auch sei, bei gefährlichen Klettereien jedenfalls ist die Auseinandersetzung mit hoher Gefährdung, um nicht zu sagen mit „Totalschaden“, authentisch. Die Emotionen sind ähnlich denen vorher beschriebenen. Du bist in diesem isolierten Zustand, du vergisst den eingerissenen Fingernagel, das angehauene Schienbein, die mörderische Tiefe und der Gegner ist unsichtbar. „Fight Gravity“, dieses Logo beflügelte eine ganze Generation von „Adrenalinos“. Also, der Gegner ist das, was den Apfel vom Baum fallen lässt, na, ja, den Planeten auf der Bahn hält, könnte man ja auch sagen, oder die Sonne zum Heizstrahler macht, also diese Konstante deren wir unser Leben verdanken, den Zusammenhalt des Kosmos, insofern befindest du dich in vornehmer Gesellschaft! Aber mal ehrlich, wenn du es tatsächlich schafft, diese universale Kraft, mit gewisser Raffinesse, nur für ein paar Sekündchen auszutricksen, überfällt dich hinterher ein seltsam uriges Glücksgefühl, ein wenig Unsterblichkeit womöglich, das kriegt man sonst nirgendwo und durch die Adern fegt ein Tornado!
Zu den „Advanced-Climbing-Skills“ gehört die Fähigkeit am Seil gesichert zu stürzen. Ok, bist du im Schlaf über die Klippe gegangen wirst du es als einen Alptraum verbuchen. Abzustürzen ist eine Urangst. Kletterer sollten damit umgehen können. Das Eine ist, dass sie in ihrem Jargon, die Sache etwas herunterspielen, „Abschmieren“, „Abfliegen“, „Den Abgang machen“, was einen Sturz etwas ins Komische verschiebt. Es geht darum, der Sache das Bedrohliche, Ernsthafte zu nehmen um locker bleiben zu können. Erstaunlicherweise hilft es tatsächlich! Aber so einfach ist die Sache wiederum nicht! Z.B. die Tour „Screamer“! Sie ist richtig schwer, senkrecht bis überhängend, nicht üppig, aber im Grunde ausreichend gesichert. Im „Screamer“ ist definitiv mit weiten Stürzen zu rechnen. Dennoch, ein fataler „Ground-Fall“ ist unter regulären Umständen so gut wie ausgeschlossen. Das Gros der „Wochenend-Mover“ bewegt sich im „Screamer“ an der Sturzgrenze. Andererseits, mit der „Screamer-Tour“ in der Tasche kann auch der „Wochenend-Mover“ ganz schön punkten! Um Urängste kontrollieren zu können, müssen sie ständig in Schach gehalten werden! Eine Woche mit viel Stress ist dafür nicht förderlich. Ständiger Ärger mit dem Chef, ein rabiater Zahnarzt, deprimierende Kontoauszüge, Drohbriefe vom Finanzamt, Franziska lamentiert wegen dies und jenem, schlimmstenfalls wegen der Kletterei. Ausgiebige Erörterungen es könne sich dabei um einen niederen Instinkt auf Primaten-Niveau handeln ziehen ebenfalls runter, eines oder zwei Aspekte davon, je nachdem, und über unerklärliche Kanäle wirst du dem „Screamer“ ein wenig mehr Respekt entgegen bringen, oder ihn nur von unten ansehen wollen. Wie gesagt der „Screamer“ bedeutet für die meisten ein Gang an der Sturzgrenze. Dazu braucht es automatisierte Bewegungen, Bewegungen aus dem Bauch heraus, einer verdammt unerschütterlichen Konzentrationsfähigkeit, das mag sich auf den ersten Blick widersprechen, aber es geht um eine subtile Kontrolle, nicht zu wenig, nicht zu viel, die Sache muss am Laufen bleiben! Weiter geht es um den Ausschluss störender Einflüsse, wie z.B. verständnislos glotzende Zuschauer, dummes Gelaber, hoch dirigiert werden von denen die‘ s super-genau wissen, aber für einen Versuch heute nicht gut „drauf“ sind, des weiteren bedarf es einer funktionierenden Sicherungskette, nicht zu vergessen, Power ohne Ende, im Prinzip bedarf es einer komplexen Strategie und wenn du realisiert, dass das Spiel aus ist, wenn die Fingerkuppen, mit diesem kaum wahrnehmbaren Zirpseln, den Kontakt zum Fels zu verlieren beginnen, oder du den Körperschwerpunkt hoffnungslos daneben hast, im Klartext, dass du gleich „die Flatter machen“ wirst, bringen es nur jene „bloody Bastards“ fertig, sich ohne signifikanten Anstieg der Taktrate vom Acker zumachen… soll heißen, einfach loszulassen, oder, die verschärfte Version, in den freien Raum zu peilen, sich abzustoßen, um einem Landeplatz tunlichst auszuweichen, zu kontrollieren, dass bei der folgenden Luftfahrt die Leuchte nicht den Hintern überholt, obendrein, während dieser angebrannten Sekunde, wie erwähnt, im „Screamer“ ist mit weiten Stürzen zu rechnen, vielleicht noch ungeduldig zu werden, ob das Seil, das man ja, seit man die vielen Scheine dafür auf den abgewetzten Ladentisch des „Mountain- Shops“ geblättert, fürsorglich behandelt und schon über 7 Berge geschleift hat, nun endlich kooperativ ist und gefälligst seine Arbeit aufnimmt… deren Unverfrorenheit dem Niveau einer Gefriertruhe gleichkommt, weil es normalerweise jeder Körperfaser zuwiderläuft!